PROGRAMM 24

01.01.2024 

Mendelssohn

LOBGESANG


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n b-Dur, Op. 52

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„Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“, so beginnt und endet der „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, eine Auftragsproduktion der Stadt Leipzig, die bei Ihrem Gewandhauskapellmeister eine Festmusik zur 400-Jahr-Feier der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg bestellt hatte und der die Uraufführung in der Thomaskirche am 25.Juni 1840 auch selbst leitete. 

„Die Nacht ist vergangen!“, mit diesem großartigen Chorsatz fasst Mendelssohn die zentrale Aussage seines Lobgesangs zusammen, „der Tag aber herbeigekommen. So lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“ Der Triumph des Lichts über die Finsternis wird gefeiert und besungen, wobei der Komponist den Text aus Bibelzitaten und dem evangelischen Kirchenlied „Nun danket alle Gott“ (Martin Rinckart) zusammenstellt.

Hierbei folgt Mendelsohn der Oratorientradition des von ihm verehrten Johann Sebastian Bach; Mendelsohn hatte mit seinem Wirken in Leipzig einen großen Anteil an der Wiederentdeckung Bachs im 19. Jahrhundert in Deutschland. während er sich musikalisch an seinem vielbewunderten Vorbild Beethoven und dessen Neunter Symphonie mit ihrem großen chorischen Schlusssatz orientiert und seinen eigenen „Lobgesang“ zunächst auch als „Symphoniekantate“ bezeichnet. Der „Lobgesang“ wird in der gängigen Zählung später zu Mendelssohns zweiter Symphonie.

Zu Lebzeiten (1809-1847) genoss der sehr erfolgreiche Komponist, Enkel des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, der das Vorbild für Lessings Nathan (des Weisen) war, trotz gelegentlicher antisemitischer Anfeindungen hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Er stammte aus einer konvertierten Hamburger jüdischen Bankiersfamilie und verkehrte in angesehenen gesellschaftlichen Kreisen, war bei Goethe zu Gast, und galt schon mit neun Jahren als musikalisches Wunderkind. Die systematische Verunglimpfung seiner Person und Musik, bei der Richard Wagner eine unrühmliche Hauptrolle spielte, setzte erst nach seinem Tod mit dem Nationalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als man seiner angeblichen „Judenmusik“ Unnatürlichkeit, Gefühlskälte und Plagiat vorwarf. Bilden Sie sich ein eigenes Urteil!

[Text: Mathias Langanky]

ARCHIV 

13.05.2023

Chormusik der Romantik

JUBILÄUMS SERENADE

Werke von Dvorák, Bartók, Brahms & Schumann 

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Antonin Dvorák [1841 - 1904] komponierte seine Mährischen Klänge um die Mitte der siebziger Jahre im 19. Jahrhundert, also zur Zeit, als sein Name noch nicht in das Bewusstsein der breiteren musikalischen Öffentlichkeit gedrungen war. Dieses Werk erfreute sich schon bald nach Entstehung großer Popularität. Dank seiner Komposition wurde dem jungen Dvorák ein großzügiges Stipendium erteilt (Brahms war hier maßgeblich beteiligt), so dass er sich keine weiteren Exitenzsorgen machen musste. Dvorák sammelte Volkslieder, beobachtete intensiv die Natur und lauschte ihren Klängen. Wie schon der Titel andeutet, sind die Legenden im Vergleich mit den Slawischen Tänzen im Charakter überwiegend weicher und lyrischer, im Tonfall erzählender und freier. Gemeinsam ist den Zyklen die Verwendung volkstümlicher, eingängiger Themen.


Béla Bartók [1881 - 1945] suchte im Gegensatz zu romantischem Nachempfinden, nach der originären Musik der ländlichen Bevölkerung, die er selbst als „Bauernmusik“ bezeichnete. Vor allem durch seine intensiv betriebene musik-ethnologischen Forschungen vorwiegend in Osteuropa, aber auch in der Türkei und nordafrikanischen Ländern, erkannte er, wie wenig regionale Kulturen auf Nationalität zu beschränken sind und in welcher gegenseitigen Einflussnahme sie schon immer standen. „Meine eigentliche Idee ist die Verbrüderung der Völker. Dieser Idee versuche ich in meiner Musik zu dienen.“ 


Johannes Brahms [1833 - 1897] schreibt über seine 1868 entstandenen Liebeslieder op. 52 „Übrigens möchte ich doch riskieren, ein Esel zu heißen, wenn unsere Liebeslieder nicht einigen Leuten Freude machen.“ Die vertonten Texte aus Dauner’s Sammlung beruhen auf ungarischen, polnischen und russischen Vorlagen. 16 Walzer op.39 stellte Brahms 1865 fertig und widmete sie  Eduard Hanslick. Vom ungarischen Geiger Eduard Reményi übernahm Brahms die Themen für seine Ungarischen Tänze. 


Einer der populärsten Modedichter der Romantik, Manuel Geibel, zeichnete 1840 im „ Zigeunerleben“ ein farbiges poetisches, von zeittypischen Klischeebildern stark durchsetztes Bild vom sogenannten „Zigeuner“.


Robert Schumann [1810 - 1856] benutzte noch im selben Jahr das Gedicht als Textvorlage, um eine der populärsten klavierbegleiteten Chorballaden des 19. Jahrhunderts zu komponieren. Als fahrendes, fremdartiges Volk boten sich die „Zigeuner“ ungefragt als vorzügliche Projektionsfläche für romantische Sehnsüchte an, die mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hatten. „Und die aus der glücklichen Heimat verbannt, sie schauen im Traume das glückliche Land“, heißt es nachdenklich. Und so wartet die Ballade gegen Ende in romantischer Schwermut mit der Ankündigung auf, dass der Sehnsuchtstraum von der Heimat im Morgengrauen wieder verlischt, wenn der Tross der Zigeuner weiterzieht.


[Text: Martin Künstner]

18.06.2023

Paul McCartney

LIVERPOOL ORATORIO

Oratorium

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Paul McCartney? Der Beatle? Ein Oratorium?

JA! Der Beatle hat tatsächlich und wahrhaftig ein Oratorium geschrieben, sein Liverpool Oratorio, geschrieben 1991 als Auftragsarbeit für das Orchester seiner Heimatstadt, das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, zum hundertfünfzigjährigen Jubiläum, während der Philharmonia Chor Reutlingen dieses Jahr immerhin sein dreißigjähriges Bestehen feiert.

Das Oratorio entstand allerdings zwanzig Jahre nach dem Ende der legendären Band in Zusammenarbeit mit dem Filmmusikkomponisten Carl Davis. McCartney verarbeitet darin seine Jugend und sein Leben in seiner Heimatstadt: Das Werk beginnt mit dem Titel „War“, wo inmitten des Weltkrieg-Bombenhagels ein Baby, Shanty, geboren wird, 1942 kam dort auch Paul McCartney zur Welt, und es endet mit dem Titel „Peace“, wo mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Sohn von Shanty zur Welt kommt. Zwischen diesen beiden Geburtsereignissen wird die Geschichte von Shanty und seiner Frau Mary Dee erzählt, einer sehr normalen Kleinbürgerfamilie. Mary Dee arbeitet sich in einem Büro mühevoll für die Familie ab, während Shanty mit seinen Männerkollegen sich im Wirtshaus betrinken geht. Es ist die Geschichte einer Familie, die trotz aller Mühen, Titel „Work“, und Krisen, Titel „Crises“, am Ende in Liebe und Versöhnung zusammenfindet und mit dem Neugeborenen im Arm einer besseren Welt entgegensieht.

Das Leben der kleinen Leute wird als großes emotionales Schicksal dargestellt, es entstehen eindrucksvolle Stimmungsbilder, die, auch wenn der Alltag nicht immer perfekt und problemlos verläuft, in einer Versöhnung mit der Welt und dem Leben münden. Musikalisch springt das Oratorio sehr reizvoll von einem Genre zum anderen, klingt erst wie moderne Kunstmusik, dann wie Beatles-Musik, wie neobarocke Kirchenmusik oder ein Musical, teils wie Hollywood-Filmmusik oder wie Klänge von Strawinsky.

[Text: Mathias Langanky]

29.07.2023

Gitarrenfestspiele

YESTERDAYS TOMORROW

Eröffnungskonzert

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Eine Reise durch Kulturen, Länder und Klänge für Chor, Gitarren und Kanun. Mit einer Uraufführung von Alon Wallach für Chor, Gitarrenduo und Kanun, einem Auftragswerk des chilenischen Komponisten Juan Antonio Sánchez für Chor und Gitarre, sowie Sergio Assad’s Komposition „Yesterday’s Tomorrow“ für Chor und vier Gitarren vereinen sich Musiker verschiedenster Nationen, Kulturen und Religionen. Sie bringen Musik unterschiedlichsten Ursprungs auf die Bühne im interkulturellen Dialog für eine Zukunft in Frieden: Duo KM, Duo Kaltchev, Muhittin Kemal, Nicolas Emilfork, Philharmonia Chor Reutlingen.

[Text: Gitarrenfestspiele Nürtingen]

12.11.2023

W. A. Mozart

REQUIEM

In d-Moll

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Vielleicht brauchen wir für unsere Wahrnehmung dieser Musik ihre ganze verworrene Entstehungsgeschichte: Mozart habe einen mysteriösen Auftraggeber gehabt, jenen „grauen Boten“, Mozart habe gefühlt, er sei vergiftet worden und habe dieses Requiem für sich selbst komponiert, die Rolle schließlich, welche sein Schüler, sein Nachfolger und der Liebhaber (?) seiner Frau Constanze als Vollender des Requiems gespielt habe, jener Süßmayr eben, – vielleicht brauchen wir diesen ganzen schwindelig machenden Hintergrund für die Wahrnehmung des Requiems, um mit der schrecklichen Tatsache fertig zu werden, dass unser glücklicher, Fröhlichkeit verbreitender Komponist der „Kleinen Nachtmusik“ und der „Zauberflöte“ mit kaum 35 Jahren einen bitteren, verzweifelten Tod (im Jahr der Zauberflöte!) starb und im Sterben uns „sein“ Requiem hinterließ und uns, damit seine Todesangst herausschrie. Da schreit uns unser Wolferl all seine Angst vor dem Sterbenmüssen entgegen, und es gibt keinen Trost und keine Erlösung, und selbst die Ehrlichkeit seiner Todesangst macht ihn zu unserem Liebling - und versöhnt uns vielleicht mit unserem eigenen Sterbenmüssen.

Selbst in den lyrischen, gefühligen Stellen, dem „Lacrimosa“ zum Beispiel, hören wir einen drohenden, tragischen Unterton, und wir spüren, wie das ganze Stück von tiefer untergründiger Sterbensangst und Todessstimmung durchzogen ist und von einem Flehen nach der Rettung vor dem Tod. Das Requiem ist ein ständiges Ansingen gegen die Todesangst, da gibt es wenig Tröstendes, das „Hosianna“ vielleicht noch am ehesten, da ist viel Verzweiflung und Flehen um die Rettung vor den „Strafen der Hölle“, da hören wir am „Dies irae“ den „Rex tremendae“ sein unerbittliches Urteil sprechen und sehen vor uns, wie die Verurteilten aus dem Jüngsten Gericht von Michelangelo vor dem „Richter im Gericht der Rache“ erzittern, bevor der Gottesdienst mit dem Sanctus in den gewöhnlichen Ablauf der katholischen Messe übergeht.

Die tiefe Hoffnungslosigkeit und Angst von „Sequenz“ und „Offertorium“ macht das Requiem so faszinierend. Man möchte mitschreien. Hier schreit jemand gegen seine eigene Sterbensangst an, ob es Erlösung geben kann, bleibt ungewiss. Wir sind alle Verurteilte. 1792 beginnt auf der anderen Seite Europas die Terrorphase der Französischen Revolution.

[Text: Mathias Langanky]